Zusammenfassung
Wiesław Długokęcki (Univ. Danzig/Gdansk)
Der Deutsche Orden als Deichherr
Marienburg, 3.02. 1426
Der Hochmeister an den ermländischen Propst Arnold Datteln: Ir moget selber irkennen, das vor so viel joren, ee die temme seyn gemacht, Pomerlant gar gerynge und arm ist gewest unnd wenig gefyl von czenden … .
(Die Berichte der Generalprokuratoren des Deutschen Ordens an der Kurie, Bd. III, Johann Tiergart (1419-1428). Bearb. V. H. Koeppen, Göttingen 1966-1971, Nr. 266, S.529)
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Als in den Zwanzigerjahren des 13. Jahrhunderts der Deutsche Orden ins Pruzzenland kam, waren die Weichselwerder und das Tal der unteren Weichsel, ein relativ dünn besiedeltes Grenzgebiet zwischen Pommerellen, dem Pruzzenland und dem Kulmerland. Die Besiedlung konzentrierte sich an den Rändern der Höhe und in der Zone der natürlichen Entwässerung. Zum Schutz vor Hochwasser wurden abschnittsweise sogar Deiche an beiden Ufern der Weichsel errichtet.
Ein bahnbrechender Moment für die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung der Region war die Errichtung des Hochmeistersitzes und des Haupthauses in Marienburg (1309), die Erweiterung der Komturei Marienburg um den Stüblauer Werder am linken Weichselufer und vor allem eine intensive Siedlungstätigkeit in denWerdern, die etwa von 1315 bis 1350 dauerte. In ihrem Verlauf wurden um 100 Zinsdörfer gegründet, an beiden Ufern der Weichsel und der Nogat Hochwasserschutzdeiche errichtet und ein Entwässerungssystem aus kleineren Flüssen, Kanälen und Gräben angelegt. Im 14. Jahrhundert wurden auch die Niederungen des unteren Weichseltals durch den Bau von Deichen und Wasserableitungssystemen besiedelt.
Die Grundprinzipien, die das Hochwasserschutz- und Meliorationssystem in Preußen regeln, das heißt der materielle Charakter der Deichpflicht, die mit dem Land verbunden und mit der Fläche des Ackerlandes korreliert war (Prinzip „Hufen Hufen gleich“), die Belastung des Eigentums jeglicher Art, unabhängig von der sozialen Stellung des Eigentümers (Prinzip „Kein Land ohne Deich“), die persönliche Pflicht zur Verteidigung des Deichs bei Gefahr drohenden Deichbrüchen und die Wiederherstellung beschädigter Deiche unterschieden sich nicht vom Deichrecht in den Niederlanden und Deutschland.
Von den Siebziger- bis zu den Neunzigerjahren des 14. Jahrhunderts entstanden für die drei Werdergebiete Samtdeichverbände, die von Deichgrafen und Deichgeschworenen geleitet wurden, aber unter der Kontrolle von Beamten des Ordens – den Vögten – standen. Die Deichgrafen und Deichgeschwornen waren nicht nur für den Hochwasserschutz und die Entwässerung zuständig, sie waren auch Schöffen in den Schöffengerichten der Werdervogteien und Sachverständige in wasserbaulichen Fragen für das ganze Land.
In der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts verschlechterten sich die hydrologischen Bedingungen: Der Grundwasserspiegel stieg, Überschwemmungen traten häufiger auf, vor allem an der Nogat. Infolgedessen bildete sich die Besiedlung im nördlichen Teil des Werders und in den Niederungen des unteren Weichseltals zurück. Um diesen negativen Erscheinungen entgegenzuwirken, ergriff der Orden entsprechende rechtliche, finanzielle und technische Maßnahmen. Im Jahre 1404 wurde ein Ausspruch erlassen, der die Art und Weise der Wasserabführung regelte und später in verschiedenen Konfliktsituationen Anwendung fand. Man versuchte, den Grundwasserspiegel zu senken, indem man den Bau von Kanälen in der Zone der künstlichen Entwässerung im Großen Werder und im Fischauer Werder finanzierte, und um die Gefahr von Überschwemmungen der Nogat durch den Überschuss ihres Wassers und Eises zu verringern, wurde im Großen Werder ein spezielles Becken angelegt, die sogenannte Marienburger und Elbinger Einlage.
Besonders verhängnisvoll waren die Überschwemmungen in den Vierzigerjahren des 15. Jahrhunderts. Um ihre Auswirkungen zu beseitigen, wurden Mittel nicht nur aus der Komturei Marienburg, sondern auch den benachbarten Verwaltungseinheiten mobilisiert. Im Jahr 1446 schätzte der Hochmeister die durch die Überschwemmungen der letzten drei Jahre verursachten Verluste auf 6000 Mark und den Wiederaufbau auf 12000 Mark.
Aus diesem Grund versuchte der Deutsche Orden in Zusammenarbeit mit dem Bischof und dem Domkapitel von Pomesanien alljährlich die Hochwassergefahr zu kontrollieren, insbesondere die frühjährlichen Pegelstände an Weichsel und Nogat. Die Aufsicht über diese Hochwasserschutzmaßnahmen oblag dem Hochmeister und bei dessen Abwesenheit dem Tressler.
Hervorzuheben ist, dass der Orden den Regress der Besiedlung nicht wirksam verhindern konnte, denn Schöpfwerke (Schöpfwindmühlen oder Pumpenmühle) waren hierzulande noch nicht bekannt.
Im polnischen Geschichtsbewusstsein wird die Entwicklung des Weichsel-Nogat-Deltas und der Niederungen des unteren Weichseltals mit den Mennoniten in Verbindung gebracht, die erst im 16. Jahrhundert aus den Niederlanden hierher kamen. Aus heutiger Sicht ist es verwunderlich, dass sich das Werk des Deutschen Ordens nicht in den preußischen Chroniken des 14. bis 15. Jahrhunderts niedergeschlagen hat und nicht Teil des Selbstverständnisses dieser Organisation geworden ist. Erst die wissenschaftliche Forschung seit dem neunzehnten Jahrhundert macht es möglich, dieses Werk zu würdigen und ihm historisch gerecht zu werden.